Das im Süden gelegene Government Tataouine in Tunesien ist für seine große Wüste und Star Wars bekannt. Letzteres, weil hier viele Szenen für den Science-Fiction Epos gedreht wurden. Doch heute tobt in Tatouine anstatt der aus einer weit weit entfernten Galaxie eine andere Schlacht. Die zwischen dem unterdrückten Volk auf der einen Seite und dem Imperialismus und seinen Lakaien auf der anderen.
In Tataouine, dem südlichsten Government Tunesiens, ist die Arbeitslosigkeit im ganzen Land am höchsten. Laut offiziellen Zahlen aus dem Jahr 2017 sind Ca. 15,400 Menschen in Tataouine arbeitslos, ungefähr 10.27 % der Gesamtbevölkerung der Region. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 27%, bei Akademikern sogar bei 58%.1 Auch die Armut liegt in Tataouine deutlich über dem Landesdurchschnitt, die meisten Bezirke des Governments haben eine explizit höhere Anzahl an bedürftigen Familien pro 1000 Einwohner als die restlichen Bezirke des Landes.2

Eine andere Quelle für die Probleme der Region ist der 2018 publizierte regionale Attraktivitätsbericht, der die Investitionschancen bzw. Möglichkeiten einer Region analysiert. Dieser konstatiert in einer Untersuchung, dass im Vergleich der Gouvernements in Fragen der Ansiedlung von über 50 großen Unternehmen, Tataouine auf 0% der großen Unternehmen kommt. Eine Zahl auf die insgesamt noch 7 weitere Gouvernements kommen.Dagegen liegen allein 48% der restlichen Anteile der über 50 Unternehmen in nur drei Gouvernments und allein 27% in Tunis und seiner Agglomeration.3

Vor diesem Hintergrund müssen die aktuellen Kämpfe des tunesischen Volkes in Tataouine und zum Teil auch in anderen Regionen Tunesiens gesehen werden.  2017 begann der Kampf in der vernachlässigten Region, als der kanadische Ölmonopolist Winstar, einer der wenigen großen Arbeitskäufer, 24 Arbeiter entließ. Als Winstar sich weigerte sie wieder einzustellen, antworteten alle Arbeiter und Angestellten von Ölunternehmen in der Region mit einem Generalstreik. Parallel dazu blockierten über 60 junge Arbeitslose am Stadtrand der gleichnamigen Provinzhauptstadt Tataouine die Zufahrtswege zu den Ölfeldern. Diese kämpferischen Aktionen waren der Funke, der eine Volksbewegung entfachte, die innerhalb von wenigen Tagen über 80 Protestzelte imganzen Gouvernement errichtete. Die Einstellung von örtlichen Arbeitern in den Öl- und Gasgesellschaften, eine Beteiligung der Bevölkerung in Höhe von 20% an den Einnahmen der Öl- und Gasförderung, sowie ein Entwicklungsfonds in Höhe von 100 Millionen Dinar (entspricht ca. 36. Millionen Euro) wurde gefordert. Die Demonstranten denunzierten außerdem die fehlende Transparenz bei der Verhandlung von Erschließungsverträgen zwischen ausländischen Unternehmen und der Regierung, und forderten eine entsprechende Neuverhandlung dieser. Die Zentralregierung versuchte beharrlich die Proteste zu ignorieren.

Am 23. April 2017 blockierten über 1500 Menschen die Zufahrtsstraße im Wüstenort El Kamour. El Kamour grenzt an dem militärische Sperrgebiet, wo einige von Tataouines Ölfelder liegen. Der alte Staat war nicht mehr in der Lage den wachsenden Volksprotest zu ignorieren und die Regierung entsand zuerst Ministerpräsident und Arbeitsminister, mit einem Angebot, 450 Jobs in der Öl- und Gasbranche zu schaffen. Als die Demonstrierenden diese Krümel ablehnten, mobilisierte der ehemalige Präsident Beji Caid Essebsi um die Ölfelder vor dem Volk zu schützen die Nationalgarde. Die Antwort der kämpfenden Massen Tataouines: Die Stürmung der Ölförderungsanlagen und, trotz reaktionärer Streitkräfte, das eigenhändige Abschalten der Pumpen.

Im Zuge der teilweisen Rückeroberung der Anlagen am nächsten Tag ging die Nationalgarde mit großer Brutalität gegen die Demonstrierenden und die Protestzelte vor und ermordete einen Demonstranten, indem sie ihn überfuhren. Der alte Staat hatte Öl ins lodernde Feuer des Volksprotests gegossen. Es folgten scharfe Kämpfe zwischen Volk und Reaktion in der Provinzhauptstadt, bei denen eine Polizeiwache und ein Posten der Nationalgarde in Flammen aufgingen. Der tunesische alte Staat, überrascht von der kämpferischen Entschlossenheit und Einheit der Demonstranten, zog die Nationalgarde vollständig aus El Kamour zurück, und die Demonstranten schalteten die Pumpen der Ölförderung endgültig ab.4 5

2020, drei Jahre später, pumpen die Ölfelder wieder das schwarze Gold aus der Erde Tunesiens, und die Klauen der ausländischen, imperialistischen Ölmonopolisten, vom kanadischen Winstar, über die österreichische OMV zur italienisch-französischen SITEP, bohren sich noch tiefer in den Sand der Saharawüste. Die Regierung hat nach der letzten Aktion der Volksbewegung mit dieser eine Vereinbarung geschlossen. Das sogenannte „El Kamour Agreement“ sieht vor, dass die Regierung einen Entwicklungsfonds in Höhe von 80 Millionen Dinar Jahresbudgets auflegt, bis Ende des Jahres 1500 Menschen in der Ölbranche zu Arbeit verhilft und insgesamt 3000 Arbeitssuchende in einer Gesellschaft für Gartenbau und Umweltschutz unterbringt. Daraus wurde bis jetzt nichts, und die Volksbewegung, wohlahnend dass die leeren Versprechen der Imperialisten und ihrer Lakaien eine Sache, Taten aber eine Andere sind, gab kund dass sie ihre Zelte erst abbauen wird, wenn das El Kamour Agreement in Kraft tritt.6

Am 21. Juni 2020 ist es wieder zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten der „El Kamour Bewegung“ und Polizeikräften des alten Staates gekommen. Grund dafür war die anlasslose Zerstörung der Protestzelte und die willkürliche Verhaftung des Anführers der Bewegung, Tarek Haddad. Die Demonstranten machten die Freilassung Haddads zu ihrer ersten Forderung und schworen solange zu kämpfen, bis diese erfüllt worden war. Am 24. Juni, nach tagelangen Kämpfen der Massen gegen Polizei und anderer Sicherheitskräfte und einem ebenso langen Hungerstreik seitens Tarek Haddad im Gefängnis, kam dieser frei und wurde von den kämpfenden Massen euphorisch begrüßt. Derweil sind die Demonstranten trotz der Freude über die Freilassung ihres Anführers wachsam, denn dieser muss am 02. Juli erneut vor Gericht. In der Zwischenzeit hat die tunesische Zentralregierung damit begonnen, größere Teile der reaktionären Armee nach Tataouine und den Süden der Republik zu verlegen.7 8

 

Demonstranten singen während den Kämpfen mit der Polizei „Wir werden als Märtyrer sterben“ ein revolutionäres Lied aus Tunesien.