Seit langem macht sich die weltweite ökonomische Krise des Imperialismus in der Türkei besonders durch den Verfall der türkischen Währung, der Lira, bemerkbar. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren als Antwort auf die Überproduktion stets an einem extrem niedrigen Leitzins festgehalten, um den in der Krise befindlichen bürokratischen Kapitalismus – was angetrieben wird durch die Abwälzung der Krise auf die unterdrückten Nationen durch die Imperialisten (ein eindrucksvoller Beleg dafür: jede Woche gibt es in türkischen Fabriken von ausländischen Konzernen oder Subunternehmen Streiks, Proteste etc. gegen Massenentlassungen) – durch mehr Investitionen zu beleben, was eine massive Inflation verursacht.

Was in der deutschen bürgerlichen Presse natürlich mal wieder als Alleinverschulden der „Dummheit“ und des „stoischen Egoismus“ Erdogans dargestellt wird, ist schlicht der Weg, den die herrschende Fraktion der Großbourgeoisie – und das sind keine bloßen „Dummköpfe“ – für am besten hält, um die Krise im Land einzudämmen bzw. hinauszuzögern; und das zeigt, wie tief die Krise bereits fortgeschritten ist.

Mitte Dezember verlor die Lira an einem einzigen Tag 6,5 Prozent an Wert. Durch die Schwäche der Währung sind besonders die Preise von Importprodukten rasant gestiegen. Die Inflation lag vergangenen Dezember bei 36 Prozent (Vergleich zum Vorjahr); die „inoffizielle Inflationsrate“ ist laut bürgerlichen Medien noch weitaus höher. Neben den Folgen für die tiefsten und breitesten Massen, die hauptsächlich unter der Krise zu leiden haben, verlieren auch Viele aus wohlhabenderen Teilen des Volks ihre Stellung und rutschen in die Armut.

Im ganzen Land verschlechtern sich die Lebensumstände der Studenten; in den vergangenen Monaten wurden besonders massenhaft Studenten ihre Wohnunterkünfte gekündigt. Ein 21-jähriger Wirtschaftswissenschaften- und Psychologiestudent aus Istanbul berichtet:

Wegen finanzieller Schwierigkeiten musste einer meiner Mitbewohner gehen. Die Suche nach Ersatz ist schwierig. Einen Kandidaten mussten wir ablehnen, weil er mehrere offene Kredite hatte. Eine anderen Kandidatin, weil sie sich kein Bett für ihr unmöbiliertes Zimmer leisten konnte. Auch die wöchentlichen Einkäufe sind eine Herausforderung. Wir kaufen nur das Nötigste: Eier, Nudeln, Joghurt, Milch. Auf Obst verzichten wir, weil es unbezahlbar ist, Fleisch gab es noch nicht ein einziges Mal seit unserem Einzug im Juni. Ich habe außerdem eine Katze und kann mir das Futter nicht mehr leisten. Ich kann zwar meine Mahlzeiten reduzieren, doch nicht ihre. […] “

Neben diesem Gespräch hat das Magazin „Spiegel“ Ende Dezember Interviews mit weiteren Menschen aus Istanbul veröffentlicht, die beschreiben, wie die Krise sie ökonomisch an den Rande der Existenz bringt. Ein 45-jähriger Arzt berichtet:

Wir arbeiten sehr viel, verdienen weniger als Kollegen im Ausland und können nicht einmal die Patienten angemessen betreuen. […] Nun müsste ich ein altes Stethoskop ersetzen. Es würde 100 Dollar kosten, etwa 1500 Lira. Das ist fast so viel, wie ich in einer Woche verdiene. Ich weiß nicht, ob ich es ersetzen oder einfach nicht mehr nutzen werde.

Vor allem in den vergangenen zwei Monaten hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Masken, Handschuhe, Hygieneprodukte – die Kosten haben sich vervielfacht. Ich habe große Schwierigkeiten, meine Angestellten zu bezahlen. […] Und auch an meinen Patienten kann ich beobachten, wie die Krise sich vertieft. Menschen mit chronischen Krankheiten, die eigentlich ins Krankenhaus gehören, kommen zu mir, denn die staatlichen Kliniken sind überlastet, und die privaten können sie sich nicht leisten. […] “

Ein 57-jähriger Straßenverkäufer für türkische Sesamkringel, Simits, schildert das Gewicht dieser Krise im Vergleich zu den vorherigen:

Die Krise hat mich in den vergangenen Monaten massiv getroffen – finanziell und auch moralisch. Ich habe gar keine Zeit mehr, meine Freunde oder meine Familie zu sehen. Jeden Tag geht es nur noch darum, zur Arbeit zu gehen und wieder nach Hause zu kommen. Wir haben zwei Kinder im Alter 30 und 22 Jahren. Mein jüngerer Sohn hat keine Arbeit, also muss ich, meine Frau eingerechnet, für drei Menschen aufkommen. Nicht, dass wir vorher in Wohlstand gelebt hätten, aber diese Krise ist viel schlimmer als die vorherigen. […] Am Tag, an dem der Preis für einen Simit von 2,50 auf 3,50 Lira gestiegen ist, sagte einer meiner Stammkunden, er könne sich das nicht mehr leisten. Das hat mir einen Stich ins Herz versetzt.“

In einem Slum im Zentrum Istanbuls erzählt eine in die Stadt gezogene, 62 Jahre alte Bäuerin:

Wir leben von der Rente meines Mannes, und die wird jeden Tag weniger. Ich spare, wo ich kann. Wenn ich Waschmittel brauche, suche ich das billigste und laufe dafür von einem Supermarkt zum nächsten. Ein Kilo Fleisch kostet mittlerweile mehr als 100 Lira, wer kann sich das leisten? Man muss also kreativ werden. Ich habe neulich ‚falsche Fleischbällchen‘ gemacht – Kartoffeln gekocht und mit Bulgur, Petersilie und Zwiebeln vermischt. Wir kommen kaum über die Runden. Manchmal überlegen wir, zurück ins Dorf zu gehen, aber dort wäre es das Gleiche. Wo soll man wohnen, was soll man essen, wie über die Runden kommen?

Auch die Dorfbewohner wissen nicht mehr weiter. Jeden Tag sind die Lebensmittel teurer als am Vortag. Wir waren noch nie so verzweifelt wie jetzt. […] “

Von allen Seiten hallt der Schrei nach Revolution; das Ausmaß der Verarmung der Massen in der Türkei ist enorm. Die Reihen der tiefsten und breitesten Massen vergrößern sich, und auch immer mehr Elemente aus dem Kleinbürgertum und auch der Mittelbourgeoisie nehmen an Kämpfen teil. Es ist Aufgabe der Kommunisten, für all die Ströme ein Flussbett zu schaffen und die Massen zu führen, dass sie die imperialistische Herrschaft, den bürokratischen Kapitalismus und den Halbfeudalismus in der Türkei zerstören und den Staat der Neuen Demokratie errichten.