Oft passieren Dinge im Leben, die man vor nicht allzu langer Zeit für nahezu unmöglich gehalten hat. Dann passiert aber etwas Unerwartetes und diese unerwartete, unmöglich scheinende und unvorhersehbare Situation tritt ein. Philosophisch gesprochen, es tritt ein Sprung in der Entwicklung ein. Eine dieser nicht vorhersehbaren Situationen erleben wir dieser Tage in diesem Land. Wenn jemand Ende 2019 behauptet hätte, in der BRD würde es flächendeckende Ausgangssperren geben, als Teil eines seit länger andauernden Ausnahmezustands, ohne dass das Parlament – der Bundestag – dabei eine große Entscheidungsbefugnis hätte (bzw. diese freiwillig abgetreten hätte), dann wäre diese Person sicherlich für verrückt erklärt worden, oder zumindest ausgelacht worden.

Nun aber haben Krisen, ähnlich wie Kriege, den Effekt, den Gang der Entwicklung um ein vielfaches zu beschleunigen, sozusagen als Katalysator zu fungieren. Und Krisen sehen wir dieser Tage reichlich. Da ist zum einen die Überproduktionskrise, die zu einer großen Vernichtung der Produktivkräfte führt. Da ist die Krise des Parlamentarismus, der mehr und mehr seine Legitimation unter den Massen, die er zu führen beabsichtigt, verliert. Diese beiden Krisen entwickeln sich innerhalb der allgemeinen Krise des imperialistischen Systems, das mehr und mehr Zerfallserscheinungen zeigt. Entsprechend schnell entwickeln sich derzeit einige Dinge. Die Verallgemeinerung von Ausgangssperren in der BRD ist eines dieser Dinge. Natürlich gerechtfertigt wie seit über einem Jahr alle Maßnahmen mit dem angeblichen Infektionsschutz.

Die erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes war DAS Thema der letzten Wochen und wurde in der gesamten Bundesrepublik diskutiert. Kein Wunder, sind doch die flächendeckenden Ausgangssperren (was der Kernpunkt aller Diskussionen war) ein erneuter Angriff auf die demokratischen Rechte, die sich die Arbeiterklasse und das Volk erkämpft haben (die unterschiedlichen anderen arbeiterfeindlichen Maßnahmen, die darin enthalten waren fanden kaum Beachtung bzw. blieben nahezu unbekannt). Bisher waren die Maßnahmen noch den föderalen Regelungen unterworfen und von den Regierungen der einzelnen Bundesländer zu verfügen. Was jetzt stattgefunden hat ist eine weitere Zentralisierung des deutschen imperialistischen Staates und vor allem seiner Exekutive. Denn was nun passiert ist, dass die Ausgangssperren, die flächendeckend im Land eingeführt werden, durch eine Regelung der Bundesregierung, durch die Länderpolizeien (d.h. Innenministerien der Bundesländer) durchgesetzt werden. Somit sind die Polizeien der Bundesländer nun in einem weitgehenden Maße der Verfügung der zentralen Exekutive der BRD untergeordnet. Das ist zwar nicht der Tod des Föderalismus, wie manche behaupten, aber dennoch eine wesentlich stärkere Zentralisierung des imperialistischen deutschen Staates, wie sie seit dem Ende des 2. Weltkriegs nicht existiert hat. Und wieder einmal beschneidet sich das Parlament selber, in dem es noch mehr Kompetenzen abgibt, aber diesmal ist das nicht so problemlos über die Bühne gegangen, sondern unter größerem Getöse, in dem sich die unterschiedlichen bürgerlichen Parteien zu Wort gemeldet haben.

Zur Durchsetzung dieser Zentralisierung veranstalteten die politischen Vertreter des deutschen Imperialismus in den letzten Wochen ein unsägliches Laientheater, mit dem Zweck eine angebliche Legitimation dafür zu haben. Das Platzenlassen der Ministerpräsidentenkonferenz und das Theater um die „Ruhetage“ zu Ostern, Merkels persönliche Entschuldigung und ihr anschließendes „hartes Durchgreifen“ hatten diesen Zweck. Und dann benutzten sie in der Diskussion um die Ausgangssperren einen stumpfen Taschenspielertrick. Zuerst die Pläne zu propagieren, die Ausgangssperre um 21 Uhr beginnen zu lassen, was dann zum Fokus der Diskussion gemacht wurde, um dann nach ein paar Tagen und viel Aufregung in der öffentlichen Diskussion, eine Stunde nach hinten zu verschieben, auf 22 Uhr. So hat sich die Regierung dann als „sehr großzügig“ dargestellt. Doch auch wenn sie es vielleicht nicht glauben besitzen die Massen ein Erinnerungsvermögen, das länger als vier Monate zurückgeht. Denn wer sich die Mühe macht, erinnert sich daran, dass die Ausgangssperren, die auf Bundeslandebene letztes Jahr eingeführt wurden auch erst um 22 Uhr begannen. Erst dieses Jahr wurde es nach und nach zum „Standard“ gemacht um 21 Uhr zu beginnen, wie z.B. in Hamburg.

Die erneute Verschärfung des Ausnahmezustands dient selbstverständlich der Bekämpfung der Rebellion der Massen. Auch wenn versucht wird immer wieder den Narrativ zu prägen, es handle sich um Maßnahmen des Gesundheitsschutzes, doch nur noch wenige glauben dieses Märchen. Begründet wird es mit dem Mantra der Wissenschaftlichkeit, man müsse der Wissenschaft vertrauen und ihren Erkenntnissen folgen. Doch dass Wissenschaft nichts ist was über den Klassen steht wird dieser Tage immer offensichtlicher. Noch im Sommer letzten Jahres wurden Studien herbeizitiert, die angeblich eine geringe Infektiösität von Kindern belegten, um Schulen und Kitas zu öffnen, jetzt heißt es, dass viele Kinder infiziert sind und besonders Kita-Beschäftigte überdurchschnittlich oft infiziert werden. Derweil bemühen sich diverse Politiker als Hobbywissenschaftler und behaupten, dass nur in Ländern mit Ausgangssperren die letzten Infektionswellen unter Kontrolle gebracht wurden, um die jetzigen Maßnahmen zu rechtfertigen. Viele Artikel in der bürgerlichen Presse im vergangenen Jahr verwiesen auf das Gegenteil. Es zeigt sich, dass „die Wissenschaft“ nicht immer DIE Lösung und eindeutige Antwort hat. Warum ist das so? Zum einen müssen sich Erkenntnisse stets vertiefen und wir nähern uns nur Stückweise der Wahrheit ohne sie jemals völlig zu erschöpfen – um es mit Lenin zu sagen. Zu andern wird Wissenschaft von Menschen gemacht und diese Menschen gehören zu bestimmten Klassen, die bestimmte Ideen hervorbringen und eben diese führen dazu, dass wissenschaftliche Studien in der Klassengesellschaft zu fundamental unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Und so wird ein und dieselbe Zahl, die als unumstößlicher Fakt präsentiert wird, eben einmal in die eine Richtung und einmal in die andere Richtung interpretiert – entsprechend des Ziels und der Wahrheit einer Klasse oder einer ihrer Fraktionen. Einige „Superakademiker“ und Möchte-Gern-Intellektuelle arbeiten allerdings immer wieder daran diesen Umstand zu verschleiern.

Doch in der Krise wächst das Bewusstsein der Massen ebenso rapide schneller und viele zeigen auf unterschiedliche Art und Weise bereits, dass sie nicht mehr wollen, nach einem Jahr Ausnahmezustand. Wie es sogar ein Polizist aus Heilbronn es in einem Interview ausdrückte: „Die Leute haben es satt“. Zu glauben, dass sich diese Stimmung der Massen aber in einer absolut reinen Form in revolutionärer Energie entladen würde ist ein Irrglauben, der nichts mit der Komplexität des Klassenkampfes zu tun hat – es ist eben der Kampf der Klassen. Dennoch lässt sich die Stimmung die sich in diesen Tagen formiert in einigen Forderungen zusammenfassen, die die Stimmung auf den Punkt bringen. Die erste ist „Nieder mit der Ausgangssperre!“, denn die Massen verlangen nach ihren erkämpften demokratischen Rechten und Freiheiten, daraus folgt die zweite, da die Massen den Ausnahmezustand eben satt haben: „Nieder mit dem Ausnahmezustand!“. Doch immer mehr manifestiert in den Massen auch die Stimmung, diejenigen, die für all das verantwortlich sind zur Rechenschaft zu ziehen und sie zu loszuwerden. Denn es ist deutlich merkbar, dass nur noch wenige daran glauben, dass diese tatsächlich eine Lösung für ihre Problem anzubieten haben. Der Schrei der Massen manifestiert sich darum immer stärker und fordert: „Nieder mit der Regierung!“