Hier wird nochmal mit einem anderen Schwerpunkt das Thema der taz-Affäre aufgegriffen, das wir hier schon zum Thema hatten.

 

Der ‚law-and-order‘ Politiker und Bundesminister des Inneren Horst Seehofer stellt sich bekanntermaßen in jede für ihn nur mögliche Situation vor „unsere“ Polizei. Dabei ist es unerheblich, welche Kritik und in welchem Umfang diese gegen die Staatsgewalt gerichtet wird. Sei es fundierte Kritik an den massiven, illegalen Übergriffen der Polizei gegen Migranten und jugendliche1, Kritik am Korpsgeist, also dem sich gegenseitigen Decken bei illegitimen Verhalten seitens der Beamten, oder bei Kritik an faschistischen Strukturen innerhalb der Repressionsbehörde2. Gleich dem Pawlowschen Hund, der auf einen Reiz konditioniert wird, um mit einer erwartbaren Reaktion auf den Reiz zu reagieren, springt Horst Seehofer bei jedem Ansatz einer Kritik reflexartig schützend vor die Polizei und fordert zunächst einmal eine Unschuldsvermutung ein, die es de facto für Migranten und jugendliche in den täglichen Drangsalierungen seitens der Polizei längst nicht mehr gibt.

Kritik ist ein zentrales Moment, um den Widerspruch einer Sache zu benennen und zu treffen. Dabei gibt es unterschiedliche Methoden der Kritik. Eine ist beispielsweise die Satire. Die Satire arbeitet bewusst mit Überspritzung, um den zu kritisierenden Punkt zu verdeutlichen, oft gemengt mit humoristischen Pointen gegen den Gegenstand.
Warum nun all dieser Vorlauf zur Methode der Kritik? Weil es theoretisch mit der Meinungsfreiheit das Recht gibt, alles zu kritisieren. In Deutschland jedoch maßt sich inzwischen ein Bundesminister an, entscheiden zu dürfen, welche Kritik getätigt werden darf, und welche nicht.
Normalerweise sind es in demokratisch-liberalen Diktaturen der Bourgeoisie Gerichte, und nicht Minister, die entscheiden, ob die Kritik durch die Meinungsfreiheit gedeckt wird, oder nicht. Ein Minister jedoch, der den Gerichten bereits zuvor läuft und einer Kritik die verfassungsmäßige Meinungsfreiheit abspricht, hat jeden Bezug zu den Resten der bürgerlichen Verfassung verloren. Im Zuge der sogenannten Corona-Pandemie sehen wir in kurzen Abständen den Abbau der Verfassung. Dass jedoch auf die Verfassung und ihre Grundrechte dermaßen gespuckt wird zeugt von einer neuen Qualität antidemokratischer Entwicklung.
Hierin kommt zum Ausdruck, dass das Ideal der Meinungsfreiheit der Bourgeoisie nichts gilt. Das Recht der Meinungsfreiheit ist für die Bourgeoisie dafür da, dass eine bürgerliche Öffentlichkeit hergestellt wird, worin vom Standpunkt der Bourgeoisie alle Bürger ihre Meinung, also ihr politisches Interesse kund tun dürfen, um es zum Gegenstand des Staats zu machen. Man darf sagen, was man will, solange man anerkennt, dass die Bourgeoisie durch ihren Staat entscheidet, was letztlich gilt. Und die demokratisch-liberale Handhabung der Widersprüche toleriert auch noch allerlei andere Äußerungen, weil es die Widersprüche unnötig zuspitzt, wenn man immer gleich alles mit Gewalt beantwortet. Doch offenbar sind die Widersprüche zurzeit schon so sehr zugespitzt, dass ein Bundesinnenminister Muffensausen bekommt, wenn eine Journalistin fest stellt, dass verdammt viele Bullen Faschisten sind. Tatsächlich hat Hengameh Yaghoobifarah auch gegen die Grundregeln der bürgerlichen Öffentlichkeit verstoßen, weil sie tatsächlich vom Standpunkt des Volkes und nicht vom Standpunkt der Bourgeoisie gefragt hat, ob es die Polizei braucht.

Die Satire

Im konkreten Fall geht es gegen ein Schmähgedicht der TAZ-Autorin Hengameh Yaghoobifarah. Diese hat in einer satirischen Streitschrift im Kontext der weltweit überbordenden Polizeigewalt unter dem Titel ‚All cops are berufsunfähig‘ die Frage aufgestellt, dass „[w]enn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen? Schließlich ist der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch.“ (https://taz.de/Abschaffung-der-Polizei/!5689584/). Sie sinniert infolge ein wenig über mögliche Berufssparten, sieht die ex-Cops jedoch unfähig eine davon produktiv anzugehen und schlussfolgert daher, dass „mir nur eine geeignete Option ein[fällt]: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ (ebd.)

Was Yaghoobifarah in ihrer Satire entlarvt ist der faschistische Korpsgeist innerhalb der Repressionsbehörden. Diesen gibt es genauso wie Rassismus, und es ist unsinnig diese Tatsache zu leugnen. Unzählige betroffene und Augenzeugen sprechen Bände über den Hass der Polizei gegen das Volk, den sie ungestraft ausüben können (als Beamter deckt man sich schließlich gegenseitig). Die Polizei ist Diener des Staates und ihre Aufgabe besteht darin das Privateigentum zu schützen. Dass das Volk jedoch weitestgehend eigentumslos ist und bspw. in Deutschland das reichste Zehntel 85% des gesamten Privateieigentums besitzt, verdeutlicht die wahre Aufgabe der Polizei. Die Eigentumslosen zurechtprügeln und für die Ausbeutung gefügig machen - und bloß nicht aufbegehren. Darin besteht die wahre Aufgabe der polizeilichen Staatsgewalt.


(Die Tabelle entstammt dem Jahre 2009. Bis heute hat sich die Eigentumsverteilung drastisch zu mehr Eigentum der bereits Besitzenden entwickelt und den Armen noch viel mehr geraubt)

Man kann über die Form Yaghoobifarah Aufsatz streiten, fragen, ob es künstlerisch wertvoll ist oder nicht. Der Inhalt jedoch bringt eine berechtigte Frage aufs Tablett und pointiert eine tiefere Wahrheit: ‚defund the police‘ ist ohne Überwindung des Kapitalismus unsinnig. Die Wurzel, die Struktur der Ausbeutung, die durch die Polizei geschützt wird, liegt im System des Kapitalismus bzw. Imperialismus selbst. Und die Polizei abzuschaffen ohne die Ursache ihrer bürgerlichen Notwendigkeit zu bekämpfen ist irrwitzig, insofern die Bourgeoisie niemals die Macht freiwillig aus der Hand geben wird. Sollte die Polizei wirklich ‚defunded‘ werden, würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit private Sicherheitsbehörden die Aufgaben der Polizei übernehmen oder schlicht das Militär als neue-alte materielle Gewalt der Ausbeuter auftreten.

Die Taktik Seehofers deunzieren

Doch zurück zum Anfang. Seehofer steht seit seiner verfassungsfeindlichen Handhabe mit Yaghoobifarahs Satire stark in der Kritik. In einem Interview mit dem Hetzblatt BILD auf die gewünschte Zensur gegen die Polizei-Schmähschrift angesprochen antwortet dieser:
„Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben.“ (https://taz.de/Medienreaktionen-auf-Seehofer/!5691089/)

Seehofer präsentiert platt und lächerlich eine Verdrehung der Tatsachen, die jedem geradezu ins Auge springt und ein Hohn auf die berechtigte Wut der ‚Straße‘ ist. Denn nicht Satire oder Kritik führt zu Gewaltexzessen, sondern die Verhältnisse verursachen die Rebellion! Der stete Polizeiterror- und Rassismus in Stuttgart gegen migrantische Jugendliche ist der Grund für die gewaltsamen Explosionen. Die Satire bringt lediglich die Ursache auf den Punkt und entblößt ihre heuchlerischen Lügen. Klar, dass ihnen das missfällt.

Denn Seehofers Logik nach müsste man nun auch fragen: sind die Kritiker schuld an Hanau und NSU? Tragen Autoren wie Yaghoobifarah schuld am Mord von George Floyd und all den ermordeten Unterdrückten dieser Welt? Jeder vernünftig denkende Mensch wird dies zweifelsfrei verneinen. Zumal ein eklatanter Unterschied zwischen Autoren wie Yaghoobifarah und rechten Ausländerfeinden besteht. Ein wichtiger Punkt, der bei Seehofer keine Berücksichtigung findet, sondern linke- und rechte Worte undifferenziert unter „Enthemmung der Worte“ subsumiert.

Es sind die Verhältnisse, die die Menschen umbringen. Worte lassen uns lediglich die Ursachen begreifen. Die Explosionen der Rebellionen in der Welt sind der Ausdruck der seit Jahrzehnten andauernden Unterdrückung, Erniedrigung und Ermordung der am meisten Ausgebeuteten. Ausschreitungen sind, um es mit den Worten des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King zu sagen, die Sprache der Sprachlosen. Stuttgart, Hanau usw. sind die Folge bürgerlich-repressiver Politik und unter keinen Umständen bedingt durch satirische Aufsätze.