Wir publizieren eine Erklärung des Lila-Rot Kollektiv zum Abschiebeverfahren gegen Dr. Banu Büyükavci, die im Juni im zuge der TKP/ML-Prozesse in München verurteilt wurde.

Die Nürnberger Ausländerbehörde versucht Dr. Banu Büyükavcı, die seit vielen Jahren hier in Deutschland lebt und sich in zwei Medizinbereichen (Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie) weiterbilden lässt, ihrer erworbenen Rechte, also ihrer Niederlassungs- und Arbeitserlaubnis zu berauben und sie abzuschieben.

Bekannterweise wurden am 15. April 2015 bei einer in fünf europäischen Ländern gleichzeitig durchgeführten Razzia zehn Revolutionär*innen und Kommunist*innen, denen Mitgliedschaft im Auslandskomitee der TKP/ML vorgeworfen wurde, unter Teilnahme von Hunderten Polizist*innen und in Begleitung von Dutzenden Streifenwagen und Hubschraubern in einer Weise festgenommen, die billigen Actionstreifen aus Hollywood in keiner Hinsicht nachsteht.

Dr. Banu Büyükavcı, die einzige Frau unter den festgenommenen, wurde in Gewahrsam genommen, indem zahlreiche Streifenwagen und Dutzende Polizist*innen das Café, in dem sie nach ihrem Arbeitstag in der Nürnberger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit einer Freundin saß, umzingelten, obwohl ihre Arbeits- und Wohnadressen bekannt waren. Diese Sonderbehandlung Dr. Büyükavcıs durch die Bundesrepublik Deutschland ist einerseits als einen Beweis der Intoleranz gegenüber Revolutionär*innen und Kommunist*innen zu interpretieren, andererseits als einen Ausdruck der patriarchalen Herangehensweise des Systems gegenüber Revolutionärinnen.

Dr. Banu Büyükavcı wurde widerrechtlicherweise insgesamt 32 Monate in Haft gehalten – die ersten vier davon in totaler Isolation. Totale Isolation bedeutet nach 23 Stunden in einer Einzelzelle ohne jeglichen menschlichen Kontakt eine Stunde Hofgang – und auch das einsam. Diesen schweren Bedingungen hielt sie durch ihren Glauben, ihr Klassenbewusstsein und die revolutionäre Solidarität von ihr bekannten wie unbekannten Personen, vor allem von Frauenorganisationen aus der ganzen Welt stand, ohne ihre Ideale und ihren Glauben an eine Welt ohne Klassen und Ausbeutung auch nur für einen Moment aufzugeben. Und sie wurde am 19. Februar 2018 aus der Untersuchungshaft entlassen.

Als Revolutionärin widmete sich Banu Büyükavcı mit all ihrem professionellen Wissen und Erfahrung insbesondere der Behandlung von traumatisierten Frauen, die Gewalt erlitten haben, und leitete und leitet in vielen verschiedenen Ländern Europas, vor allem in Deutschland, Bildungsveranstaltungen und Seminare zur Selbstaktivierung der Betroffenen und Bewusstseinsbildung und Organisierung gegen Gewalt an Frauen. In ihren politischen Statements vor Gericht ging es hauptsächlich um die Situation der Frauen – vor allem derer in der Türkei und Türkisch-Kurdistan. Im Gerichtssaal betonte sie mehrmals, dass die Freiheit und Emanzipation von Frauen nur durch revolutionären Kampf möglich sein kann. Dr. Banu Büyükavcı, die bei allen Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen einschließlich derer am 25. November und 8. März mitmacht, wird nicht nur als Frau, sondern auch als Revolutionärin der Gewalt der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt. Und dieselbe Gewalt setzt sich in Form einer Abschiebedrohung fort.

Seit ihrer Festnahme solidarisierten sich revolutionäre, demokratische und feministische Frauenorganisationen, Mitarbeiter*innen der Gewerkschaft ver.di, in der sie aktiv mitarbeitete, und ihre Kolleg*innen mit ihr, führten diverse Unterstützungsaktionen durch, sammelten Unterschriften und ließen Dr. Büyükavcı spüren, dass sie nicht alleine ist. Unmittelbar nach ihrer Haftentlassung fing sie wieder an, an ihrem alten Arbeitsplatz zu arbeiten. Trotz des Bildes einer „unbarmherzigen Terroristin“, welches die Bundesrepublik Deutschland zu erzeugen versuchte, traten all ihre Kolleg*innen, unabhängig davon, ob sie sie kannten oder nicht, für sie ein und ließen dadurch die Verleumdungs- und Vereinsamungspolitik des reaktionären Systems im Sande verlaufen. Selbstverständlich sollte man auch die Rolle nicht außer Acht lassen, die der positive Eindruck, den Dr. Banu Büyükavcı vor ihrer Festnahme bei ihren Kolleg*innen und Patient*innen hinterließ, und ihr Fleiß und ihre Hingabe an ihren Beruf dabei gespielt haben. Auch heute haben ihre Kolleg*innen, allen voran ihr Chef, und ihre Patient*innen Schwierigkeiten, die Maßnahmen, die angeblich um des öffentlichen Interesses willen ergriffen werden sollen, also die Angriffe der Nürnberger Ausländerbehörde gegen die erworbenen Rechte und die geplante Abschiebung zu verstehen, und kündigten an, wie bisher auch diesmal Dr. Büyükavcı zu unterstützen. Diejenigen, die behaupten, das öffentliche Interesse im Blick zu haben, wollen in einem Deutschland, in dem ein großer Ärzt*innenmangel herrscht, das Defizit an qualifizierten Arbeitskräften zum Himmel schreit, man händeringend nach zweisprachigen Ärzt*innen sucht, eine öffentlich so sehr benötigte und beliebte Ärztin mit fadenscheinigen Ausreden ihrer erworbenen Rechte berauben, nur weil sie nicht so wie sie denkt und das vom System für sie bestimmte Leben ablehnt.

Worauf sich die Nürnberger Ausländerbehörde bei diesem reaktionären Beschluss stützt? Das scheinheilige Verfahren, das am 6. Juni 2016 im Oberlandesgericht München begann, in keinster Weise auf handfesten Beweisen basierte und dessen jede Sitzung voller Skandale war, wurde am 28. Juli 2020 abgeschlossen. Gemäß § 129 b StGB, einer Schande für das Recht an sich, wurde Dr. Banu Büyükavcı mit der Behauptung, sie sei Mitglied des Auslandskomitees der TKP/ML, zu 3 Jahren 6 Monaten Haft verurteilt. Um die Interessen der Klasse, der sie dient, zu verteidigen, trat die Nürnberger Ausländerbehörde ihr eigenes Recht mit Füßen, indem sie diese Maßnahmen einleitete, ohne auch nur auf die Ankündigung des begründeten Urteils des Oberlandesgerichts München und auf das Ergebnis der Revision, die nicht einmal begonnen hat, zu warten. Diese Geschehnisse stellen einen Beweis für den feindlichen Reflex der Bundesrepublik Deutschland gegen revolutionäre, demokratische, fortschrittliche Kurd*innen und Kommunist*innen dar.

Dr. Banu Büyükavcı wurde zur Zielscheibe der Nürnberger Ausländerbehörde, weil sie eine Frau ist, die ihre revolutionär-kommunistische Identität mit Würde trägt. Das patriarchale System ist wie anderenorts auch in Deutschland, dem Pseudo-Ritter der Demokratie, nicht nur aufgrund des Klassenhasses, sondern auch wegen ihres Geschlechts den Revolutionärinnen, Demokratinnen und Kommunistinnen gegenüber feindlich gesinnt.

Heute, kurz vor dem 25. November, haben wir, ohne die aktuellen Geschehnisse losgelöst vom Klassenbewusstsein zu betrachten, auch die sexistische Seite des Systems zur Schau zu stellen. Genauso wie die Schwestern Mirabal in der Dominikanischen Republik nicht nur aufgrund ihres Daseins als Frauen ermordet wurden, sondern auch deswegen, weil sie für das herrschende System Sand im Getriebe waren, versucht man auch heute mit der gleichen Mentalität Dr. Banu Büyükavcı ihrer erworbenen Rechte zu berauben und zum Schweigen zu bringen. Insbesondere gegen fortschrittliche, revolutionäre Migrant*innen werden ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse als Druck- und Drohmittel eingesetzt.

In der Vergangenheit konnten wir die reaktionäre Rafael Trujillo-Diktatur nicht daran hindern, die Schwestern Mirabal zu ermorden, aber heute können wir die Versuche der Bundesrepublik Deutschland vereiteln, alle politischen Frauen, allen voran Dr. Banu Büyükavcı, mundtot zu machen.

Wir, Aktivistinnen im Lila-Roten Kollektiv, wissen sehr gut, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenüber Reaktionär*innen und Faschist*innen äußerst tolerant ist, gegenüber Revolutionär*innen, Demokrat*innen, fortschrittlichen Kurd*innen und Kommunist*innen aber eine sehr aggressive Haltung an den Tag legt. Wir werden Dr. Banu Büyükavcı nicht alleine lassen und sie in ihrem Kampf unterstützen, um die Bundesrepublik Deutschland daran zu hindern, sie ihrer erworbenen Rechte zu berauben, und die Abschiebedrohung, die wie ein Damoklesschwert über ihrem Haupt schwebt, zu vereiteln. Diese Repression und dieser Angriff stellen eine Staatsgewalt dar, die sich in der Person Banu Büyükavcıs gegen alle fortschrittlichen, revolutionären und kommunistischen Migrant*innen richtet. Aus diesem Grund rufen wir alle revolutionären, demokratischen und fortschrittlichen Kräfte dazu auf, Dr. Banu Büyükavcıs berechtigten Kampf zu ihrem eigenen zu machen. In dem Bewusstsein, dass zukünftiger Rechtsraub sich bereits heute verhindern lässt, haben wir heute diese Angriffe, die gegen Dr. Büyükavcı gestartet wurden, zu stoppen.

Dr. Banu Büyükavcı ist nicht alleine

Auf zum gemeinsamen Kampf, um die reaktionären Praktiken der Bundesrepublik Deutschland zu stoppen

Schluss mit der Repression gegen Revolutionär*innen, Demokrat*innen, Fortschrittliche und Kommunist*innen

Wir werden unsere erworbenen Rechte nicht aufgeben

Es ist kein Verbrechen, Revolutionär*in zu sein

Es ist eine Ehre, sowohl Frau als auch Revolutionärin zu sein

Es lebe die revolutionäre Solidarität

Schulter an Schulter gegen reaktionäre Angriffe

Lila-Rot Kollektiv